Niemals (Band 2) by Pflüger Andreas

Niemals (Band 2) by Pflüger Andreas

Autor:Pflüger, Andreas [Pflüger, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2017-10-14T22:00:00+00:00


21

Wie soll das gehen: die Finsternis nicht zu beachten, wenn alles Finsternis ist? Wie soll das gehen: im Mahlstrom der Finsternis zu versinken und so zu tun, als ob man Boden unter den Füßen hätte? Wie soll das gehen: Stunde um Stunde einen Lichtschimmer herbeizusehnen und nicht an der Finsternis zu verzweifeln?

»Wo sind wir?« fragt sie.

»Schnellstraße.«

»Nicht auf dem Circuit?«

»Wir müssen keinen Umweg mehr machen.«

»Beschreib es mir.«

»Salz, Salz, Salz, da wachsen nicht mal Kakteen. Alles ist mit Reklametafeln zugepflastert. Bier, Zigaretten, McDonald’s. Hier gibt’s einen McKebab.«

Ihr Hunger nach Bildern ist so mächtig, dass sie das Kopfkino einschaltet. Sie fährt mit der Harley durch die Wüste – Zabriskie Point 12 Miles – und schaut in eine Ebene, die ein einziges Glitzern ist. Sie steigt von der Maschine und geht auf das Glitzern zu. Es ist nah, aber kommt nicht näher. Ihre Stiefel knacken eine weiße Kruste, die alles wie Raureif bedeckt. Sie bückt sich, verreibt den Firn zwischen den Fingern, leckt daran und schmeckt Salz. Aaron rennt los und springt in eine Spiegelwand aus Hitze und starrt in die Sonne, die wie ein Klecks Butter zerfließt.

Gebrauchte Bilder, die für ein Leben reichen müssen.

»Siehst du die Stadt?« fragt sie.

»Als ob eine riesige Hochzeitstorte vom Himmel gefallen wäre, mit der Koutoubia als Kerze.«

»Ist viel Verkehr?«

»In die andere Richtung knubbelt es sich. Morgen ist ihr heiliger Tag, die läuten schon das Wochenende ein.«

»Wie sieht der Himmel aus?«

»Allah zählt Schäfchen.«

»Was haben die Autos für Farben?«

Er schweigt.

»Schwarzweiß?«

»Aaron, was soll das?« fragt Pavlik ruhig.

Sie will ihm von dem Adrenalin erzählen, das in ihrem Cortex gewütet hat wie ein Schlaganfall, dem schwarzen Gewebe, das in ihr wächst, den verdorrten, nutzlosen Zellen, die sie für alle Zeit mit sich rumschleppen muss. Nein will es nicht nur, sehnt sich unendlich danach. Damit er sie tröstet, das kann er so gut. Aber wenn er wüsste, was sie aufs Spiel setzt, würde er keine Sekunde länger mitmachen.

Da liegt der Mörder deines Vaters.

Vesper war der Erste, den sie aus Rache tötete.

Keiner war ihr je so gleichgültig.

Weil der, um den Aaron vor zehn Jahren getrauert hat, in einem leeren Sarg in Berlin liegt. Weil der, dessen Blut auf Laylas Teppich trocknet, nichts als ein Domestik war und der Mann, der dem Schmerz befiehlt, am Leben ist.

Tausend Lügen gäbe es, sie kennt sie alle: dass Layla ihr bloß sagen muss, wo Varga ist. Dass die Abteilung ihn jagt und zur Strecke bringt. Dass Varga der Prozess gemacht wird. Dass sie die Therapie beginnt und wieder ein neues Leben erfindet. Und noch eine Lüge und noch eine und noch eine.

Der Bushidō sagt: Rache ist das höchste Gericht.

Sie will die Hand auf Vargas Brust legen und fühlen, dass sein Herz nicht mehr schlägt.

Pavlik biegt von der Straße ab und hält in einer Parkbucht. Er schaltet den Motor aus. »Lass mich in deinen Kopf.«

»Hab den Schlüssel verlegt.«

»Was genau hat Reimer dir in Schweden gesagt?«

Aaron wird steif. »Das habe ich doch erzählt.«

»Nein, hast du nicht. Wir tun bloß die ganze Zeit so.«

»Er muss Tests machen.«

»Sandra hat ein Interview mit ihm gelesen.



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